Hic Tibet, hic agite!

von Rainer Grell

mit freundlicher Genehmigung von Horst Heitzinger

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Der Vorteil der Klugheit besteht darin,

dass man sich dumm stellen kann.

Das Gegenteil ist schon schwieriger.

(Kurt Tucholsky)

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In einem Antrag vom 23. April 1996 aller seinerzeit im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien (CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P.) zum Thema „Die Menschenrechtssituation in Tibet verbessern“ liest man Erstaunliches: Da ist nicht nur von politischer, sondern auch von „ethnischer, kultureller und religiöser Selbstbestimmung“ der Tibeter die Rede; es wird vor der „Sinisierung Tibets“ gewarnt, also vor der Assimilierung der Tibeter an die chinesische Kultur; und schließlich „verurteilt“ der Deutsche Bundestag „die Politik der chinesischen Behörden, die im Ergebnis gerade auch in bezug auf Tibet zur Zerstörung der Identität führt, insbesondere mittels Ansiedlung und Zuwanderung von Chinesen in großer Zahl“ (Bundestagsdrucksache 13/4445). Ganz schön mutig unsere MdB oder?

Also dachte ich, es ist zwar schon ein bisschen her, aber immer noch aktuell. Fragst du einfach mal beim Bundestagspräsidenten nach, wie es denn mit der ethnischen, kulturellen und religiösen Selbstbestimmung der Deutschen steht, mit der Gefahr der Islamisierung (ist ja so was Ähnliches wie „Sinisierung“) Deutschlands und der Zuwanderung von türkischen und arabischen Muslimen in großer Zahl. Nach kurzem Hinweis auf den erwähnten Antrag zu Tibet habe ich also die Erwartung zum Ausdruck gebracht, „dass sich das Parlament auch für die Interessen Deutscher in Deutschland einsetzt, die durch Zuwanderer und deren Gefolgsleute, insbesondere islamischen Glaubens, bedroht werden“. Na, da hatte ich vielleicht was angerichtet. Als ich die Antwort, nein natürlich nicht des Bundestagspräsidenten selbst, sondern einer Mitarbeiterin las, tat es mir richtig leid, die Dame so in Verlegenheit gebracht zu haben: „Es fällt mir schwer“, schrieb sie, „die von Ihnen gezogene Parallele zwischen der in der Drucksache 13/4445 thematisierten Menschenrechtssituation in Tibet und der Zuwanderung in die Bundesrepublik nachzuvollziehen.“ Und weiter: „Die Gastarbeiter wurden in den 1960er Jahren aus wirtschaftlichen Gründen aktiv von der deutschen Politik und Wirtschaft angeworben und haben in der Folge einen beachtlichen Beitrag zum Wirtschaftswachstum geleistet.“

Ich stutzte. Moment mal! Was hatte ich da kürzlich gelesen? In „Migration und Politik“ (secolo Verlag, Osnabrück 1995, Seiten 305 ff.), seiner Habilitationsschrift, weist Johannes-Dieter Steinert nach, dass die offiziellen Stellen in Deutschland seinerzeit keinerlei Interesse an der Anwerbung von Arbeitskräften aus der Türkei hatten, von wegen „aktiv“ angeworben. Ein Vertreter der Türkei machte jedoch deutlich, „daß seine Regierung eine Ablehnung [ihres Arbeitskräfteangebots] als eine ‚Zurücksetzung’ des NATO-Mitglieds Türkei besonders gegenüber Griechenland betrachten müsse.“ „Damit waren die Würfel bereits gefallen, denn diesem außenpolitischen Argument konnte sich die Bundesregierung nicht entziehen. Jetzt ging es lediglich nur noch darum zu versuchen, die befürchteten Folgewirkungen möglichst gering zu halten“. Also nolens volens statt aktiv.

Dies hat die Dame, die meine Mail im Auftrag des Bundestagspräsidenten beantwortete, entweder nicht gewusst oder es hat sie ganz einfach nicht interessiert nach dem Motto „Bitte verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen – ich habe meine eigene Meinung!“ (Dank an den unbekannten Autor dieses aufschlussreichen Satzes)

Allerdings muss ich um der Redlichkeit willen sagen, dass sie den Bundestagspräsidenten am Ende ihres Schreibens doch noch selbst zu Wort kommen ließ: „’Integration findet nur statt, wenn sie gewollt wird – auf beiden Seiten’, betont Prof. Dr. Norbert Lammert: ’Die Wahrheit ist, dass diese Minimalvoraussetzung nicht immer gegeben ist – auf beiden Seiten.’ Integration bedeutet dabei nicht, dass die deutsche Bevölkerung ihre kulturelle Identität aufgeben soll. Im Gegenteil: Herr Prof. Dr. Lammert ist vielmehr der Ansicht, dass erst ein selbstbewusster Umgang mit dieser einen offenen und toleranten Umgang mit fremden Kulturen ermöglicht und fordert deshalb unter anderem die Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz.“

Auf diese Weise geistig gewappnet, ja sogar mit klammheimlichem Stolz auf meine kulturelle Identität, deren Bewahrung mir jetzt quasi amtlich zugesichert war, wartete ich gespannt auf die Rede unseres Bundespräsidenten zum zwanzigsten Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung, seine Jungfernrede gewissermaßen. Zwar war ich ein wenig skeptisch, weil mein Versuch, das Bekenntnis auf seiner Homepage „bei jedem politischen Handeln ist der Austausch mit den Bürgern das A und O“ ernst zu nehmen und mit ihm in einen Austausch über den Islam in Deutschland zu treten, kläglich gescheitert war: Ich erhielt keine Antwort, nicht einmal von einem Referenten. Nicht so tragisch, sagte ich mir, man weiß ja, Politiker sagen so etwas mal schnell dahin. Dabei meinen sie es keineswegs böse, sie meinen es überhaupt nicht. „Die aller­erste aller Kräfte, die die Welt regieren, ist die Lüge“, lehrt uns der französische Philosoph und Journalist Jean-François Revel. Allerdings: „Wenn mir deutsche Musliminnen und Muslime schreiben: ‚Sie sind unser Präsident’ – dann antworte ich aus vollem Herzen: Ja, natürlich bin ich Ihr Präsident!“, so Wulff in seiner Rede zum zwanzigsten Jahrestag der deutschen Einheit. Er tauscht sich also tatsächlich aus, aber offenbar nicht mit jedem. Dennoch wartete ich frohgemut auf diese wichtige Rede, in der er sicher auf meine Frage zur Rolle des Islam in Deutschland eingehen würde. Und er tat es wirklich!

„… der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“, sagte Christian Wulff bei der Feier in Bremen. „Der Islam ist ein Teil Deutschlands“ hatte uns vorher schon Wolfgang Schäuble wissen lassen, als er noch Innenminister war und die Deutsche Islamkonferenz erfand. Ja, gut. Nehmen wir das einfach mal so hin. Aber welcher Islam? (Den Wächtern über das Gästebuch des Bundespräsidialamts scheint diese Frage nicht gefallen zu haben; jedenfalls haben sie sie nicht aufgenommen.) Es heißt doch immer „den“ Islam gibt es gar nicht. Außer dem sunnitischen und schiitischen, dem alevitischen und wahabitischen usw. Islam gibt es noch den orthodoxen, konservativen, fundamentalistischen sowie den moderaten, liberalen, aufgeklärten, säkularen und was weiß ich noch Islam. Alles Quatsch, wirft jemand ein und zitiert den türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan: Islam ist Islam und damit hat es sich.

Und was ist mit der Scharia als Kernstück des Islam? Gehört die auch zu Deutschland? Hat Herr Wulff womöglich den Ratschlag des Salafisten Pierre Vogel an die Bundeskanzlerin aufgegriffen, einige Regeln der Scharia mal ein Jahr in Deutschland auszuprobieren (zum Beispiel das Handabhacken bei Dieben), dann werde man schon sehen? Und was ist mit der Gleichberechtigung der Geschlechter, der Homosexualität, der Freiheit, den Islam zu verlassen, dem islamischen Antisemitismus, gegenüber dem der Muslim Bassam Tibi eine auffallende Gleichgültigkeit gerade jener Deutschen festgestellt hat, die sich über den rechten Antisemitismus nicht genug empören können?

„Ich verneige mich vor allen, die für die Freiheit gekämpft haben“, sagte der Bundespräsident ebenfalls in seiner Rede. Aber das war vielleicht auch nur so dahin gesagt, wie das mit dem Austausch mit dem Bürger. Man setzt sich für die Freiheit in Tibet ein, man verneigt sich vor DDR-Bürgern, die für die Freiheit gekämpft haben, aber diejenige, die heute gegen die Islamisierung Deutschlands und Europas kämpfen und unsere freiheitliche Ordnung verteidigen, vor denen verneigt man sich natürlich nicht. Die werden stattdessen als rassistisch, rechtsradikal (oder einfach nur rechts genügt auch schon), islamophob oder als rechtspopulistisch verunglimpft, wobei offenbar niemand so recht weiß, was populistisch eigentlich bedeuten soll.

„Und weil diese Menschen mit ausländischen Wurzeln mir wichtig sind“, sagte der Bundespräsident weiter, „will ich nicht, dass sie verletzt werden in durchaus notwendigen Debatten.“ Ob Menschen mit deutschen Wurzeln verletzt werden und sich fremd im eigenen Land fühlen ist unserem Staatsoberhaupt offenbar egal, jedenfalls war ihm dies keine Silbe wert, wenn man von der Plattitüde „Mich beschäftigen die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger sehr“ absieht.

„Die Deutschen sind seltsame Menschen, entweder sie liegen uns zu Füßen oder sie hängen uns an der Kehle“, wunderte sich einst Sir Winston Leonard Spencer-Churchill. Da kommt man schon schwer ins Grübeln.

„Man kann aus Deutschland mit immerhin einer tausendjährigen Geschichte seit Otto I. nicht nachträglich einen Schmelztiegel machen. … Weder aus Frankreich, noch aus England, noch aus Deutschland dürfen Sie Einwanderungsländer machen. Das ertragen diese Gesellschaften nicht… Aus Deutschland ein Einwandererland zu machen, ist absurd…“ Das stammt nicht etwa von einem Rechtsradikalen, einem Rassisten oder Nationalisten, sondern von dem allseits geschätzten elder statesman Helmut Schmidt (Interview in der Frankfurter Rundschau vom 12.9.1992).

Wir dagegen sind so herrlich weit gekommen, dass das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland meint, voller Stolz feststellen zu müssen: „Es ist Konsens, dass in Deutschland deutsches Recht und Gesetz zu gelten haben.“

Vielleicht sollten seine Berater ihm den Rat geben, mal nachzulesen, was bei Jesaja 5 Vers 20 steht: „Weh denen, die Böses gut und Gutes böse heißen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen.“

Auch die gelegentliche Lektüre des Amtseides, der bei unserem Bundespräsidenten ja noch nicht so lange zurückliegt, kann hilfreich sein (Artikel 56 des Grundgesetzes): „Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“

Nach dieser Rede des Bundespräsidenten könnte man darüber nachdenken, den Text der Eidesformel anzupassen. „Wohl des deutschen Volkes“ – was ist das eigentlich?

Gott schütze Deutschland! Es hat diesen Schutz bitter nötig.

Rainer Grell – Stuttgart im März 2011

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4 Antworten zu Hic Tibet, hic agite!

  1. Zornröschen schreibt:

    Wer zum Teufel kam eigentlich auf die Idee, dass wir die Muslime her BRAUCHEN würden?

  2. Soodersoähnlich schreibt:

    Die Türkei wollte unbedingt für’s Nixtun was Abhaben von der „Kriegsbeute“ 1945.
    Irgendwie haben die was vom „großen Plan“ mitgekriegt und sich mit reingeschummelt.
    Sie haben damals schon gefordert, gefordert und gefordert.

  3. Bertha Duck schreibt:

    Obwohl wieder und wieder z w e i wesenliche und strategisch auch für die gegnerische Seite bedeutsame Dinge fehlen, kann ich dem Rest fast nut zustimmen !

    Das Fehlende ist immerhin
    — die Fanatisierungs-Grundlage und Mittel für das 1924, 1945, 1949 und 1967 total darniederliegende Kalifat bzw. Glaubwürdigkeit des Korans, ( die Vermengung des Koran mit dem) der weltverschwörungs-propagandistische Glauben und Angst/Hass nach den sog. „Protokollen der W.v. Zion“, die je nach lage, auch nach dem 11.9. modifiziert werden und auch pan-religiös-atheistisch „unterstützt“ bzw angekoppelt den Djihad unterstützen ;
    dieses „tool“ wirkt auch in Russland erneut antiwestlich-demokratiefeindlich und ermuntert dort nach alter KGB-Art zu skruppellosen Bündnissen und Waffenlieferungen;
    Dieses wirkt um so stärker, je mehr politisch und massenmedial ( es gelingt) , die Weltsicht bzw. der Grund-und-Folge-Zusammenhang der konkreten Abläufe des 20. Jhds. anti-israelisch/ pro-islamisch auf den Kopf gestellt werden

    — die v.a. energie-öknomische und machtpolitische Grundlage, die direkt den Djihad finanziert und indirekt die pro-islamisierenden und Djihad-Kräfte fördert in der Rivalität der Mächte, – so wie man es in den letzten Monaten und Jahren bei der anti-französischen und antiamerikanischen Spaltung der NATO erleben kann;

    beim Votum Deutschlands gegen die anderen führenden europäischen Mächte vergessen ganz plötzlich die meisten Islamkritiker den Zusammenhang von NABUCCO-Erdgaspipeline-Projekt, „Türkei-rein-in-dieEU“ & „Der Islam ist ein Teil Deutschlands“-Werbung, deren zudem anti-israelische Propagandisten wie BT-Außenausschuss-CDU-Polenz und gefördert-tolerierten Erdogan-Auftritten samt Hofierung der türkisch verfassungsfeindlichen Organisationen, – und dazu
    das
    „islamkritische“ Verteidigen des Atomenergie-Programms, das unter Führung der (fast) gleichen Kräfte bzw. Energiemonopolisten läuft, wie von E. Kiwitt und anderen zB. auf Pi-news —
    und das alles bei Ignoranz der Werke von Bat Ye’or, die auf diesen energiemachtpolitische Zusammenhang seit langem hingewiesen hat, trotz Huldigung ihrer Person

    xxx- Schlimmer bei alledem – oder etwa aus diese Zusammenhang ?- ist jedoch eine „Bürgerbewegung“ und Islamkritikerschaft, die viele selbstständige Regungen und kritische Bewegungen von Mitstreitern ignoriert, abwürgt und zensiert, die auf diese fundamentale Problematik hinweisen, die die falschinformative AKW-Bewerbung richtigstellen, die darauf mitberuhende blindmachende politische ProRechts-/ Antilinks-Polarisierung kritisieren und
    daher
    die islamkritischen Regungen bezüglich ihrer grundlegenden Klarheit, strategischen Perspektive und möglichen politischen Kraft wichtiger Chancen und Perspektiven beraubt.

  4. Helmut Zott schreibt:

    @ „Bitte verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen – ich habe meine eigene Meinung“:

    %%%%%%%%%%%%%

    Ein Mensch, von Fakten nicht verwirrt,
    schafft sich ein Weltbild unbeirrt.
    Dass manches in der Welt nicht passt
    zu dem was er gedanklich fasst,
    hat kein Gewicht, wird ignoriert,
    und sehr bescheiden kommentiert.
    Lakonisch hat er festgestellt:
    „Umso schlimmer für die Welt“.

    Helmut Zott

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